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Kaspar Hauser - eigene Überlegungen

Kaspar Hauser, Schlossträume und das Wappen

 

Kaspar Hauser auf einem Gemälde aus dem Jahr 1831 von Johann Friedrich Carl Kreul (1812 - 1833).

 

Politische Rahmengeschichte

 

1771-1812:           Baden wächst zu einem mächtigen Großherzogtum mitten im Herzen Europas heran. Die strategisch vorteilhafte Lage wird von Frankreich und Russland erkannt und von dessen Fürsten umworben.

          1787:           Es kommt zur Aufspaltung des Hauses Badens: Carl-Friedrich heiratet zum zweiten Mal, die 40 Jahre jüngere Luise Geyer von Geyersberg, spätere Gräfin Hochberg.

03.12.1787:          Stirbt der letzte Spross des Montfort-Geschlechts Graf Anton IV, dem Österreich eine kleine Leibrente ausrichtete verarmt im Hotel Krone in Tettnang

          1801:           Carl-Ludwig, der älteste Sohn von Carl-Friedrich, stirbt. Ein auffälliges Dahinscheiden der männlichen Zähringer beginnt.

          1806:           Fällt Tettnang im Zuge der Reichsauflösung an Bayern

          1806:           Die Herzogenwürde wird an das Haus Baden verliehen, verknüpft mit dem Geschlechternamen Zähringen. Heirat von Großherzog Carl (Enkel von Carl-Friedrich) und Stephanie Beauharnais, einer Adoptivtochter Napoleons.

          1810:           Napoleon ist auf dem Höhepunkt seiner Macht - in zwei Jahren wird er stürzen - und heiratet die Habsburgerin Marie Louise. Die Grenzen Europas sind durch ihn durcheinandergewirbelt worden. Umgestaltungen von Grenzgebieten sind an der Tagesordnung. So wird auch Tettnang nach nur fünfjähriger Zugehörigkeit zu Bayern nach dem Ende der Montfort-Herrschaft württembergisch und Oberamtsstadt. König Friedrich I. (bis 1816), später Wilhelm I. wird Landesherr.Das Oberamtsstädtchen Tettnang zählte zu dieser Zeit weniger als 2000 Einwohner.

          1810:           Bildung Württembergs als Flächenstaat ist abgeschlossen (bis 1945 beibehaltene Grenzen), Tettnang fällt an Württemberg

          1811:           Tod des Großherzogs Carl-Friedrich.

          1812:           Kämpften etwa 12.000-14.000 württembergische Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug mit, von denen nur wenige hundert wieder zurück kamen

26.09.1812:          Geburt des Erbprinzen von Baden als erstgeborener Sohn des badischen Großherzogs Karl (1786 - 1818) und Stephanie Beauharnais (1789 - 1860).

29.09.1812:          Geburt eines Kindes in einer zu jener Zeit bei der Reichsgräfin von Hochberg bediensteten Familie des Johann Ernst Jakob Blochmann. Vermutlich lässt einige Tage später Gräfin von Hochberg, die ihren eigenen Kindern die Thronfolge sichern will, die beiden Säuglinge vertauschen.

18.10.1812:          Tod des angeblichen Erbprinzen. Der vertauschte Erbprinz, alias Jakob Blochmann, stirbt am 16. Oktober 1812. Kaspar Hauser lebt bei seiner Ziehmutter Elisabeth Blochmann in Karlsruhe bis zu deren Tod 1815.

          1814:           Nach der Völkerschlacht bei Leipzig wechselte König Friedrich die Front. Württemberg beteiligte sich nun an den Kämpfen gegen Napoleon. Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Systems forderte König Friedrich seine Tochter Katharina auf, sich von Jérôme zu trennen. Das lehnte sie jedoch ab und blieb an seiner Seite. Daraufhin erhielt der Ex-König von Westphalen den württembergischen Titel Fürst von Montfort

          1815:           Kaspar Hauser wird wahrscheinlich nach Schloss Beuggen bei Laufenburg verschleppt, das damals in Besitz des Großherzogtums Baden war. Das leere Schloss, das wegen Typhus-Gefahr fluchtartig verlassen wurde, ist ein idealer Ort, um Kaspar zu verstecken. Dort könnte er in einem dunklen Kellergewölbe gefangen gehalten worden sein oder aber in dem zum Schloss gehörigen Gartenhaus gewohnt haben.

1815 (-1866):       Württemberg (und Baden) im Deutschen Bund

          1815:           Friedrich plant ein neues Wappen für das Königreich; das Wappen mit dem Wahlspruch "furchtlos und treu" wird dann allerdings erst 1817 verbindlich

                       

          1816:            Am Ufer des Rheins in der Nähe von Basel wird eine Flaschenpost mit geheimnisvoller Nachricht gefunden: "Ich werde in einem Keller bei Laufenburg am Rhein gefangen gehalten. ..." Bald darauf könnte Kaspar weiter verschleppt worden sein, da Schloss Beuggen aufgrund von Zeitungsberichten über den Inhalt der Flaschenpost nicht mehr sicher ist. Seine wahrscheinlich letzte Station vor seiner Ankunft in Nürnberg ist Schloss Pilsach..

30.10.1816:          Tod des Friedrich I und Krönung des Wilhelm I zum König von Württemberg

1816/1817:           Hungersnöte in Württemberg, Beginn der Auswanderungen nach Amerika und Rußland

         1817:            Alexander, der zweite Sohn von Carl und Stephanie, stirbt im Alter von einem Jahr.

         1817:            Beginn der Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern

         1818:            Carl, der leibliche Vater "Kaspar Hausers" stirbt.

         1818:            Baden bekommt eine liberale Verfassung, die Baden zu einer konstitutionellen Monarchie macht

         1818:            Schlosserlebnis (mit ca. 6 Jahren) des Hauser (im Schloss Tettnang / BW?)

31.10.1819:          Ministerkongress mit Karlsbader Beschlüssen zur Eindämmung der Demokratie

25.10.1819:          Württemberg erhält unter König Wilhelm I eine konstitutionelle Verfassung

1819-1820:           Verbringung des Hauser in das Schloss Pilsach / Franken

26.05.1828:          Pfingstmontag: Ankunft Hausers auf dem Nürnberger Unschlittplatz. Kaspar wird noch am gleichen Tag zu Gefängniswärter Hiltel auf den Gefängnisturm Luginsland gebracht. Sein Entwicklungsstadium liegt unter dem eines Kleinkindes. Er hält einen versiegelten Brief in der Hand, worin steht, dass er am 30.12. 1812 von einer Magd geboren worden sei. Ein anonymer Hinweis taucht auf, dass Kaspar der 1812 geborene und vertauschte badische Thronfolger sei. Anselm Ritter von Feuerbach (Gerichtspräsident) befreit Kaspar aus der Gefängnishaft und geht dem erstaunlichen Verdacht nach.

07.07.1828:          Binders "Bekanntmachung" wird fertiggestellt und vom Bürgermeister unterzeichnet.

09.07.1828:          Die Königliche Regierung für den Rezatkreis (heute Mittelfranken) in Ansbach bekam Wind von Binders "Bekanntmachung". Dr. Binder wird deshalb verwarnt, sie in der abgefassten Form zu veröffentlichen.

11.07.1828:          Staatsrat von Feuerbach, Mittelfrankens oberster Gerichtsherr, besucht Hauser auf dem Turm "Luginsland", angeblich rein privat.

14.07.1828:          Dr. Binders "Bekanntmachung" wird im Friedens- und Kriegskurier sowie im Nürnberger Intelligenzblatt veröffentlicht. Kurz darauf bekam Binder einen anonymen Brief des Inhalts, Kaspar sei ein deutscher Prinz. Der Brief war in Karlsruhe von der Post abgestempelt worden.

18.07.1828:          Umzug des Hauser zu dem Gymnasialprofessors Georg Friedrich Daumer in das Haubenstricker’sche auf die Nürnberger Insel Schütt. Ein umfassendes Erziehungsprogramm soll Kaspar in sein neues Leben in Freiheit führen.

15.08.1828:          Kaspar Hausers "Schloßtraum" Nummer eins, später von ihm selbst niedergeschrieben.

30./31.08.1828:   Kaspars "Schloßtraum" Nummer zwei, den Freiherr von Tucher nach Hausers Erzählung aufschrieb.

14.09.1828:          Besuch auf der Nürnberger Burg ruft bei Kaspar die Erinnerung an die "Schloßträume" wach.

17.10.1829:          1. Attentat auf Hauser im Hause Daumer auf der Nürnberger Insel durch einen „schwarzen Mann“. Das einzige, was der Unbekannte zu ihm sagt, ist der Satz: "Du musst noch sterben, ehe du aus Nürnberg kommst." Am selben Tag tritt Lord Stanhope zum ersten Mal auf die Bildfläche. Er taucht in Nürnberg auf.

04.11.1829:          Der bayerische König Ludwig I. teilt Kaspar Hauser eine polizeiliche Schutzwache zu und setzt eine ungewöhnlich hohe Belohnung für Beweise zum Anschlag aus.

     01.1830:           Umzug des Hauser in das Haus des Kaufmanns und Magisterrats Biberbach

      04.1930:          Weiterer Anschlag auf Kaspar Hauser?

          1830:           Mit Ludwig stirbt der letzte männliche Zähringer. Leopold (Sohn der Gräfin von Hochberg) besteigt als erster Hochberg den Thron vom Großherzogtum Baden und begründet die bis 1918 im Land regierende Hochberg-Dynastie.

     05.1830:           Umzug des Hauser in das Haus seines Vormunds Freiherr Gottlieb von Tucher

28.05.1831:          An diesem Tag treffen Kaspar Hauser und Philip Henry Lord Stanhope erstmals zusammen. Stanhope kümmert sich um Kaspar und überschüttet ihn mit Geschenken und Aufmerksamkeit. Zwischen den beiden entwickelt sich eine enge Beziehung. Ziel Stanhops soll sein, die Spur der Herkunft Kaspar Hausers zu verschleiern.

29.11.1831:          Umzug des Hauser auf Geheiss Lord Stanhope, welcher sich um die Vormundschaft bemüht, nach Ansbach, kurzzeitig in das Haus des Gerichtspräsidenten Anselm von Feuerbach

          1831:           Der Nürnberger Bürgermeister Jakob Friedrich Binder übernimmt die Vormundschaft für Hauser

10.12.1831:          Umzug des Hauser in der Wohnung des Lehrers Meyer in der Pfarrstrasse 18

28.12.1831:          Im Großherzogtum Baden wird entgegen den Karlsbader Beschlüssen die Pressezensur im Preßgesetz aufgehoben. Im Folgejahr wird dieses Gesetz für nichtig erklärt

19.01.1832:          Am 19. Januar findet die Beziehung zwischen Hauser und Stanhope ein plötzliches Ende. Stanhope verlässt Ansbach und lässt Kaspar in Pflege bei dem Lehrer Johann Georg Meyer zurück. Sämtliche Briefe, die Kaspar an Stanhope schreibt, bleiben unbeantwortet. Im selben Jahr zieht Feuerbach in seiner Schrift "Kaspar Hauser - Beispiele eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen" unmissverständlich das Fazit seiner Nachforschung über Kaspar Hauser: Er hält ihn für den entführten Erbprinz aus dem Hause Baden.

05.07.1832:          Im Deutschen Bund wird der Gebrauch politischer Abzeichen gesetzlich verboten. Das zielt besonders auf Schwarz-Rot-Gold als Zeichen nationaler Gesinnung. Als Reaktion auf das Hambacher Fest werden ferner Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt.

20.05.1833                 Hauser wird in der Schwanenritterkapelle konfirmiert

29.05.1833:          Am 29. Mai stirbt Anselm von Feuerbach in Frankfurt am Main

14.12.1833:          2. Attentat auf Hauser im Hofgarten zu Ansbach. Ein Unbekannter sticht mit einem Dolch auf ihn ein.

17.12.1833:          Todestag des Hauser. Kaspar Hauser stirbt im Haus seines damaligen Pflegevaters Johann Meyer an den Folgen des Attentats.


 

Der erste Traum

 

15.08.1828: Kaspar Hausers "Schloßtraum" Nummer eins, später von ihm selbst niedergeschrieben.

Es wird wohl so gewesen sein, dass das Schlosserlebnis, das er wahrscheinlich im Alter von acht Jahren hatte, also um 1820, für ihn ein faszinierendes Erlebnis war. Der Traum dürfte den ersten Tag in diesem Schloss wiedergeben. Wie er aber dazu kam, sich in diesem "Großhaus", wie er’s nannte, als Eigentümer zu fühlen, bleibt nur eine Vermutung. Anzunehmen bleibt, dass man ihm bei der Ankunft sagte: So, das ist nun dein Zuhause; hier bist du daheim.

Im Wortlaut Kaspars von ihm selbst niedergeschriebener Traum:

Am 15. August 1828 hatte ich nachstehenden Traum. Es kam mir vor, als wäre ich in einem sehr großen, großen Hause. Da schlief ich in einem sehr kleinen Bette.

Zimmereinrichtung zweier Zimmer des Schloss Tettnang

Als ich aufstand, kleidete mich ein Frauenzimmer an. Nachdem ich angekleidet war, führte sie mich in ein anderes großes Zimmer, in welchem ich eine sehr schöne Kommode, Sessel und ein Sofa sah. Von da führte sie mich in ein anderes großes Zimmer, worin Kaffeetassen, Schüsseln und Teller waren, die wie Silber aussahen. Von diesem Zimmer aus führte sie mich einen langen Gang vor und über eine Treppe hinab.

 

Nachdem wir diese Treppe hinuntergegangen waren, gingen wir im Innern des Gebäudes einen Gang herum, an dessen Wand Portraits hingen. Aus den Bogen dieses Ganges konnte man in den Hof hinaussehen.

Arkadengänge im neuen Schloss

Ehe wir den Gang ganz umgangen hatten, führte sie mich zu einem mitten im Hof befindlichen Springbrunnen hin, an welchem ich eine sehr große Freude hatte. Von da führte sie mich wieder zu demselben Bogen, durch welchen wir zu dem Springbrunnen herausgegangen waren, hin, und danach kehrten wir auf dem Bogengang denselben Weg wieder zurück bis zur Treppe.

Als wir zur Treppe kamen, sah ich ein Bildnis stehen, welches in Ritterkleidung ausgeschnitten oder ausgehauen war. Das Bildnis hatte auch ein Schwert in der linken Hand. Oben am Handgriff war ein Löwenkopf angebracht. Dieser Ritter stand auf einer viereckigen Säule, welche mit der Treppe verbunden und angemacht ist. Nachdem ich den Ritter eine Zeitlang angesehen hatte, führte mich das Frauenzimmer die Treppe hinauf, den langen Gang vor und wollte mit mir zu einer Türe hineingehen. Diese Tür war aber verschlossen. Sie klopfte an, allein man machte nicht auf. Darauf ging sie mit mir schnell zu einer anderen Tür, und während sie dieselbe öffnete, erwachte ich.


 

Der zweite Traum

 

30./31.08.1828: Kaspars "Schloßtraum" Nummer zwei, den Freiherr von Tucher nach Hausers Erzählung aufschrieb.

Von Tucher berichtete in einem Brief an von Feuerbach, datiert vom 6. Dezember 1828, von Hausers Traum, den dieser in der Nacht zum 31. August des gleichen Jahres hatte. Diesen Traum aber hatte Hauser seinem Pflegevater Daumer erzählt, als dieser am 14. September 1828 mit seinem Zögling die Nürnberger Burg besichtigte. Ziel des Ausflugs auf die Burg war die dortige Gemäldegalerie gewesen. Diese wollte Daumer dem Kaspar zeigen. Just bei dieser Gelegenheit brach bei Hauser ein Stückchen Unterbewusstsein ins Oberbewusstsein durch. Oder mit anderen Worte: Beim Anblick einer bestimmten renaissancenen Flügeltür kam ihm die Erinnerung an den Traum.

Baron von Tuchers eidliche Einvernahme, die etwas über zwei Jahre nach dem Burgbesuch stattgefunden hat:

... wurde heute der Vormund des Kaspar Hauser, Freiherr v. Tucher (evangelisch, 32 Jahre alt, in Nürnberg geboren und wohnhaft, Ratsakzessist beim Kreis- und Stadtgericht) seines bereits geleisteten Eides erinnert und sodann anderweit vernommen wie folgt:

Frage: Gesprächsweise ward in Erfahrung gebracht, dass Kaspar Hauser mit solcher Lebhaftigkeit von einem Schlosse, in welchem er sich aufgehalten, geträumt habe, dass, als er zum ersten Male auf das hiesige Schloss, die sogenannte Veste, gekommen, er in dieser Ähnlichkeit mit dem im Traum gesehenen Schlosse bemerkt habe.

Antwort: Kaspar Hauser erzählte mir von einem Traume, den er in der Nacht vorn 30. auf 31. August 1828, also 3 Monate nach seiner Ankunft dahier, gehabt habe. Ich habe mir dessen Erzählung sogleich aufgeschrieben und kann sie nun ganz genau wiedergeben.

Die Erinnerung an diesen Traum kam ihm erst dann ganz deutlich, als er am 14. September 1828 auf das hiesige Schloss zum ersten Male gekommen war. Vorher erinnere ich mich wohl ihn davon reden gehört zu haben, ich weiß aber nicht, wie es kam, dass man seiner Erzählung nicht sogleich die vollste Aufmerksamkeit schenkte, da man doch nichts, auch nicht das Geringfügigste, unbemerkt ließ.

Am 14. September 1828 also kam er zum ersten Male auf die hiesige Burg. Sogleich beim unteren Eingang zu dieser, ehe man zur Haupttreppe gelangt, sieht man die Flügeltüren eines Zimmers, bei deren Anblick Hauser sich plötzlich betroffen fühlte. Er hatte nach seiner bestimmten und wiederholten Versicherung eine solche Zimmertüre in Nürnberg niemals gesehen gehabt, dieser Art aber waren die Türen des "Großhauses", in welchem er sich in der Nacht zwischen dem 30. und 31. August träumend zu befinden geglaubt. Er blieb lange Zeit vor dieser Tür sinnend stehen; er sah sich um, ob er hier noch eine andere Ähnlichkeit mit dem im Traume Gesehenen finden könne. Als er die Treppe hinaufstieg, sagte er, so eine Treppe sei er hinaufgegangen, aber mit schöneren Stufen. Oben in der Galerie angelangt, stand er wieder, ohne die Bilder zu besehen, sinnend unter konvulsischen Bewegungen, wie sie immer bei tiefem Nachsinnen vorkommen. Seine Erinnerung an den Traum wurde lebhafter und bestimmter; er erinnerte sich, sagte er, eines großen Platzes, in dessen Mitte ein Röhrbrunnen gewesen, rund um diesen Platz seien die Zimmer des Hauses herumgebaut gewesen;

Neues Schloss Tettnang, Innenhof mit Treppentürmen

Innenhof Bodenpflaster im Schloss Tettnang

Der Grundriss des Schlosses folgt dem eher archaischen oder konservativen Muster der Vierflügelanlage mit Ecktürmchen. Die Pilastergliederung von 1755 ist im Hof oberflächlicher aufgetragen als an der Außenfront.

 

... Wenn man die Tür aufgemacht, habe man durch mehrere Zimmer hindurch sehen können, auch habe man durch sie ganz in der Runde herumgehen können.

Blick durch die miteinander verbundenen Räume im Schloss Tettnang

Grünes Zimmer im Schloss Tettnang

Ein direkter Rundgang der Herrschaften durch sämtliche Zimmer des Geschosses ohne das notwendige Begehen des normalerweise ausschliesslich durch die Dienerschaft benutzten Treppenhaus ist im Schloss Tettnang möglich.

Altdeutsche Ritter- und Fürstenbilder in der Galerie erinnerten ihn an eine Statue, die an der Treppe mit dem Schwert in der Hand gestanden. Der Knopf dieses Schwertes sei ein Löwenkopf gewesen; er sagte mit großer Bewegung, es sei ihm, als habe er einmal so ein Haus gehabt (ausdrücklich so!), und er wisse nicht, was er davon denken soll.

Späterhin gab er noch folgendes an:

Neues Schloss Tettnang Eingangsbereich

An den äußeren Wänden dieses Gebäudes waren Säulen mit Steinbildern.

 Puttenbrunnen von Pakraz Labenwolf im Hof des Rathauses Nürnberg

Der Brunnen war wie der im Hofe des Nürnberger Rathauses, aber größer und mit stärkerer Wasserströmung.

Blick vom Schlosshof auf eines der Tore

Vom Schlosshofe (denn dies scheint jener Platz zu sein) führten keine Treppen zu den Türen des Gebäudes.

Die Zahl der Türen oder Tore, durch welche man in das Gebäude kam, weiß er nicht genau anzugeben; es mögen, sagte er, 4 oder 5 gewesen sein, zum Teil groß und offen, alle oben rund. Inwendig im Gebäude ging eine große breite Treppe hinauf, vier- oder fünfmal gebrochen (man ging einmal so, zeigte er, immer unter rechtem Winkel sich wendend).

Das nördliche Treppenhaus mit Bildkuppel

Unten neben der Treppe stand eine weiße, steinerne Bildsäule mit Schnurr- und Knebelbart und Halskragen, in der Hand ein bloßes, gegen die Erde gestütztes Schwert.

Zwei Reihen von Zimmern befanden sich im Innern des Gebäudes, die eine Reihe war unten, zu der anderen musste man die Treppen hinaufsteigen. Unten konnte man ganz herumgehen, so dass man durch die Tore auf den Brunnen hinaussehen konnte. Zu der untern Reihe der Zimmer führten Flügeltüren, dergleichen eine Hauser auf der hiesigen Burg gesehen. Auch oben waren die Türen von dieser Art.

(das neue Schloss Tettnang ist zwar dreigeschossig, das zweite und dritte Stockwerk wurden aber aus Geldmangel nie ausgebaut und waren wohl nicht betretbar. Anm. d. Autoren)

In jedem Zimmer der oberen Reihe waren zwölf Sessel, drei Kommoden, zwei Tische, einer in der Mitte und einer an der Wand; nur im Bibliothekszimmer waren keine Kommoden. Die Tische waren nicht alle gleich, wohl aber die Kommoden und die Sessel. Eines der Zimmer war das größte, es war das erste, in welches man eintrat. Das daneben befindliche war noch schöner. In allen Zimmern waren große Spiegel mit goldenen Rahmen, auch kleinere mit solchen Rahmen; in vieren der Zimmer, dem Silber- und Bibliothekszimmer und in den beiden vorhin genannten, hing von der Decke ein Lüster.

Im größten Zimmer war der Tisch länglich rund, Kommoden und Sessel waren von einer Art, die er vorher noch nie gesehen hatte. Die Kommoden hatten in der Mitte der vorderen Seite eine hervortretende Rundung (nach altfranzösischer Mode,), jede Schublade hatte zwei Löwenköpfe, an welchen man sie herauszog, in der Mitte waren Schlüssellöcher.

Viele Bilder hingen an den Zimmerwänden. Im Bibliothekszimmer waren zwei Spiegel und ein großer Tisch. In einem der Zimmer waren silberne Schüsseln, Teller, Gabeln und Messer, auch Kaffeetassen, jede dieser Gerätschaften besonders, und alles hinter Glastüren. Unter den Glasschränken waren hölzerne Schränke mit Flügeltüren, in welchen die meisten und schönsten Tassen standen.

Bacchussaal

Festsaal im 1. Obergeschoss des Schlosses, mit Stuckarbeiten von Jos. Anton Feichtmayer und Andreas Moosbrugger.
Im Hintergrund Nische mit Fass und reitendem Bacchus, an den Wänden Ahnenbildnisse.

 

Schlafzimmer (2. grünes Zimmer)

In dem großen Zimmer lag Hauser in einem Bette, da trat eine Frau zur Tür herein, mit gelbem Hute und weißen dicken Federn darauf.

Hinter ihr trat ein Mann herein, in schwarzen Kleidern (der Rock war ein Frack), einen länglichen Hut auf dem Kopfe, einen Degen an der Seite und auf der Brust ein Kreuz an einem blauen Bande. Die Frau trat an Hausers Bett und blieb stehen, der Mann blieb ein wenig hinter der Frau zurück. Hauser fragte die Frau, was sie wolle; sie antwortete nichts; er wiederholte die Frage; sie gab wieder keine Antwort. Sie hielt ein weißes Sacktuch in der Hand gegen ihn hin, was er erst bei der zweiten Frage bemerkte. Hierauf ging der Mann und hinter ihm die Frau zur Türe hinaus.


 

Die gezeichneten Wappen

Professor Daumer war es, der durch Hausers Traumerzählungen auf die Idee kam, seinen Schützling zu fragen, ob er sich denn keines Wappens erinnere. Nach des Professors Dafürhalten hat ein rechtes Schloss gefälligst auch ein Wappen zu führen, das an irgendeiner bevorzugten Stelle zu sehen ist. Kaspar guckte daraufhin wenig geistreich im Zimmer herum. Er konnte damit nichts anfangen, hat das Wort "Wappen" nie gehört. Jetzt lag es an Daumer, zu begreifen. Umständlich erläuterte er seinem Scholaren, was darunter zu verstehen sei. In Kaspar aber begann es zu arbeiten. Wie immer bei solchen und ähnlichen Anlässen, fing er an, starr vor sich hinzusehen. Dabei zuckte seine linke Gesichtshälfte und schließlich auch die linken Gliedmaßen. Der Blick ging mehr und mehr ins Weite. Er war in so einer Situation. nicht mehr ansprechbar. So wird es wiederholt von den Erstzeugen geschildert. Auch von Präsident und Staatsrat von Feuerbach. Eigenartig, dass nie einer draufkam, Kaspar könnte sich in solchen Momenten in einem tranceartigen Zustand befunden haben. Und das dürfte in der Tat so gewesen sein. Auch diese Anomalie hat Kaspar mit hypersensitiven Medien gemeinsam. Es handelt sich also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um die bloße Gabe eines phantastischen Erinnerungsvermögens, sondern um eine überaus mediale Veranlagung, die ein in der hintersten Gehirnecke lagerndes Stückchen Unterbewusstsein an die Oberfläche zu bringen in der Lage ist.

So war es also damals im Wohnzimmer des Professors Daumer. Kaspar nach einer Weile: Es sei "inwendig über der Türe in der Mauer ein Bild zu sehen gewesen ..." Und dann fing Kaspar an zu zeichnen. Ja, er kritzelte tatsächlich auf dem Papier. Und was er dabei herausbrachte war, so Daumer, "gleichwohl nichts anderes als ein nur mangelhaft dargestelltes Wappen".

 

drei der vier Wappenzeichnungen des Hauser aus 1828, man beachte:

-          Die stets nach rechts versetzte Krone

-          Die „Ornamente in den oberen äusseren Wappenecken

-         Im mittleren Bild die Unterteilung des Schildes in vier Sektoren

-         In allen Bildern in der rechten Hälfte ein vierbeiniges Wesen

-         Im rechtem Bild das um ca. 30° zur Senkrechten geneigte kleine „Schwert“ in der Mitte, das „getrennte“ Wappenschild

-         Im linken und im rechten Bild die Platzierung der in der linken Hälfte zu erkennenden drei „Streifen“ in einer rechteckigen Figur

Es befand sich in dieser Wappenkritzelei ein Quadrat und in diesem ein auf den Hinterläufen stehendes Tier von nicht definierbarer Gattung. Kaspar machte zusätzlich noch drei mit ihren Spitzen zusammenlaufende Dreiecke hinein. Dann war unser Kaspar zunächst einmal mit seinem Wappenlatein am Ende. Daumer, der unermüdliche Experimentator, gab nicht nach. Flugs zeigte er seinem Zögling das Bild eines Wappens "mit zwei Löwen, die zwei Schwerter kreuzweise gegen einander hielten".

Kaspar betrachtete das Wappenbild einige Zeit und meinte schließlich, "ja so kämen die Spitzen wohl heraus, die ihm im Sinne lägen ..." Aber oben auf dem Wappen, fügte Kaspar sinnend hinzu, da oben sei noch etwas gewesen, das er aber nicht näher bezeichnen könne. Und dann kritzelte Hauser etwas, das Ähnlichkeit hat mit einer Krone. Des Experimentators Pulsschlag ging schneller, seine Augen glühten, kann man sich vorstellen. Und Kaspar, o Wunder, setzte in das vage Kronengebilde auch noch ein Zepter hinein, ohne zu wissen, was er überhaupt zeichnete, was das für Gegenstände sind und was sie für eine Bedeutung haben. Nach und nach brachte der Findling auf diese Weise, ähnlich wie heutzutage ein sogenanntes Phantombild der Kripo entsteht, eine zweite Zeichnung zustande. Der gute Professor, bewegt und entflammt:

Wappen am neuen Schloss Tettnang

Wappen in einem Zimmer des Schlosses Tettnang

Hauser habe bei diesem Experiment dann noch angegeben, das Wappen sei durch eine in der Mauer herablaufende Vertiefung in zwei Hälften geteilt, und in dieser Vertiefung seien Querstreifen gewesen; senkrecht herab sei das Szepter gegangen, wofür er aber das Wort nicht wusste. Auf die eine Seite setzte er das aufrechtstehende Tier, auf die andere ein Quadrat mit drei Querstreifen; auf dieser Seite, sagte er, sei noch mehr gewesen, was ihm aber nicht mehr deutlich sei ...

 

 

Das Wappen derer von Montfort

 

Das Wappen von Vorarlberg zeigt ein rotes Gonfanon (eine Frühform von Flaggen) auf silbernen Grund. Es ist das Wappen der Grafen von Montfort. Die Montfort sind ein schwäbisch - vorarlbergisches Grafengeschlecht, benannt nach der Burg Montfort bei der Ortschaft Götzis in Vorarlberg. Die Grafen von Montfort sind am Ende des 18. Jahrhunderts ausgestorben. Als Vorarlberg ein österreichisches Kronland war, zeigte das Wappen neun Felder und den Montfortschen Schild als Herzschild in der Mitte. Oberhalb des Schildes befand sich noch eine Krone, genau genommen ein Fürstenhut.

 

Stadtwappen der Stadt Tettnang

Die Herkunft des Wappens der Stadt Tettnang ist nicht eindeutig geklärt. Das Wappentier, ein springender Hund mit Halsband, befand sich auch auf Siegeln der Grafen von Montfort, deren Abdrücke aus dem 15. Jahrhundert erhalten sind. Dieser Bezug sowie die Bedeutung des Wappens sind jedoch umstritten. Verwunderlich ist vor allem, dass das Wappen der damals bedeutendsten Kommune innerhalb der Grafschaft Montfort nicht deren dreilatzige rote Fahne enthält, wie es zum Beispiel Tettnangs Ortsteile tun. Die Blasonierung lautet:

In Silber ein aufspringender schwarzer Hund mit roter Zunge, goldenem Halsband und goldenem Ring daran.

 

 

Es ist davon auszugehen dass Anfang des 19. Jahrhunderts ein Doppelwappen wie das heutige am neuen Schloss Tettnang angebracht war, welches zu dem linksseitigen Montfort-Wappen im rechten Schild ggf. aber das aus dem 15.Jhd stammenden Stadtwappen von Tettnang, den schwarzen Hund zeigte.

 

Wobei sich aber auch das vierflügelige Wappen über dem Schlosstor in der mittleren Zeichnung des Hauser erkennen lässt.

 

 

Wappen verschiedener Montfortlinien

 

 

Eine endgültige Klärung der wahren Herkunft Kaspar Hausers konnten auch die Gen-Untersuchungen im Jahr 1996 nicht bringen, die das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" veranlasst hatte. Fest steht seither nur, dass das Blut auf der Kleidung Kaspar Hausers vom Attentatstag keine Übereinstimmung mit den Nachkommen der Schwestern des Erbprinzen hat, für den Kaspar Hauser gehalten wird.

2002 führten Wissenschaftler des rechtsmedizinischen Instituts aus Münster eine weitere Genanalyse durch, die durch eine ARTE-Dokumentation bekannt wurde. Sie nutzten sechs Proben toten Gewebematerials (u.a. Haare) und fanden heraus, dass dessen genetischer Code nicht mit dem von der Unterhose Kaspar Hausers stammenden Blut identisch ist. Dagegen sei die genetische Übereinstimmung mit weiblichen Nachfahren der Stephanie de Beauharnais relativ hoch. Ein endgültiges wissenschaftliches Gutachten steht indessen noch aus.


 

Die Reisepunkte des Hauser

 

 

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